Steine sind für den Restaurator und Steinmetz Christoph Holenstein nicht tot. Sie erzählen Geschichten. Besonders wenn es sich um den Sandstein des Sarkophags aus dem Stiftsbezirk handelt. Diesen festigt Holenstein, damit er nicht zerfällt.

St.Galler Tagblatt - St.Gallen - Freitag, 13. August 2010

Neuer Halt für alten Sarg

Steine sind für den Restaurator und Steinmetz Christoph Holenstein nicht tot. Sie erzählen Geschichten. Besonders wenn es sich um den Sandstein des Sarkophags aus dem Stiftsbezirk handelt. Diesen festigt Holenstein, damit er nicht zerfällt.

von Mirjam Bächtold

Er hat über 1000 Jahre unter dem Boden des Stiftsbezirks verbracht. Jetzt ist der Sarkophag, in dem Graf Taltos Gebeine gefunden wurden, aufgebahrt im Innenhof des Historischen und Völkerkundemuseums. Dort ist Steinmetz und Restaurator Christoph Holenstein dabei, den Sandsteinsarg vor dem Zerfall zu bewahren. Gemeinsam mit seinem Lehrling Timur Bolt spritzt er eine Flüssigkeit auf den Rand des Steinsargs. Ein süsslicher Geruch breitet sich aus. Kieselsäureester heisst die Flüssigkeit, die den Sandstein tränkt. Oder einfacher ausgedrückt: in Ethanol gelöster Quarz.

Originalzustand belassen

«Das Ethanol verdunstet, und der Quarz bindet die Sandkörner», erklärt Holenstein. So werde der Sandstein des Sarkophags gefestigt. Denn das natürliche Bindemittel Calcit sei über die Jahre in der Erde abgebaut worden. «Beim Festigen ist unser oberstes Gebot, nichts zu verändern», sagt der Restaurator. Der ursprüngliche Zustand soll erhalten bleiben. Einige der Risse wird er später mit einem Kunstharz füllen, aber nur so, dass an der Oberfläche nichts zu erkennen ist. Wie die Risse entstanden sind, kann Hollenstein nur vermuten. «Frost kann mit Sicherheit ausgeschlossen werden, da der Sarg unterhalb der Frostgrenze lag», sagt der 50-Jährige. Ebenfalls unmöglich sei, dass die Risse nach der Ausgrabung erst entstanden sind. «Es könnte schon bei der Bearbeitung oder dem Transport im 7. Jahrhundert passiert sein.» Nur die Risse im Deckel habe ein Bagger später bei Leitungsarbeiten verursacht.

Zeitsprung gewünscht

Christoph Holenstein beugt sich über den Sarkophag, schaut ins Innere und ist immer noch begeistert. Obwohl er den Sarg schon oft gesehen hat. «Es ist erstaunlich, wie er verarbeitet ist», sagt er und weist auf die Einbettung, die extra für den Kopf freigelassen wurde. «Und damals gab es noch fast keine Werkzeuge.» Mit Spitzeisen oder Steinbeilen sei Graf Taltos Totenstätte aus einem Stück Stein gemeisselt worden. Ein grosser Aufwand. «Ich gäbe viel dafür, wenn ich für einen Tag in diese Zeit reisen und dabei sein könnte.» Holenstein fragt sich vor allem, wie die Menschen damals den rund drei Tonnen schweren Sarkophag transportiert hatten. Als er die Anfrage erhielt, den Sarkophag nach der Ausgrabung zu beurteilen hat sich Holenstein «extrem gefreut». Es ist für ihn ein Vertrauensbeweis und eine spannende Aufgabe. «Sonst mache ich Grabsteine oder restauriere Hausfassaden. Die Arbeit am Sarg ist eine totale Auflockerung des Alltags. Eine ganz andere Dimension.» Die Steine, die er sonst restauriert, sind mindestens 100 Jahre alt. Der Sarkophag ist bei weitem der älteste Gegenstand, den er je bearbeitet hat.

Steine mit Charakter

Jeder Stein, den Christoph Holenstein bearbeitet, hat für ihn eine eigene Geschichte. Und einen Charakter. «Stein ist überhaupt nicht tot», sagt er. Vielfältig, lebendig, farbig und selten kühl. So beschreibt er sein Arbeitsmaterial. Sandstein sei relativ «willig» und leicht zu bearbeiten. «Aber es gibt Steine, die eigenwilliger sind. Dann muss ich mich dem Material anpassen.» Solche Steine «provoziert» Holenstein, versucht, die Grenzen auszutesten.

Noch keinen Platz für den Sarg

Der Sarkophag aus Sandstein saugt willig das Bindemittel auf. 20 Liter hat Holenstein davon bestellt. «Wenn der Stein keine Flüssigkeit mehr aufsaugt, können wir aufhören. Dann ist er gesättigt», sagt er. Danach müsse der Sarg vier bis sechs Wochen trocknen, bevor Holenstein die Risse füllen kann. Was danach mit dem Sarkophag geschieht, ist noch ungewiss. Die Kantonsarchäologie prüft verschiedene Möglichkeiten. Die weiteren Restaurierungsarbeiten hängen von der Zukunft des Sarges ab. «Wenn er an verschiedenen Orten ausgestellt wird, muss mehr gemacht werden, als wenn er immer am selben Ort bleibt», sagt Holenstein. Dann arbeitet er weiter. Giesst geduldig Milliliter um Milliliter ins alte Gestein. Und fragt sich, wie es wohl war, als der Sarg vor über 1000 Jahren entstanden ist.

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