Der Sarkophag und sein Skelett verändern das Bild der frühen St. Galler Geschichte. Dies ist die Botschaft, die gestern das Amt für Kultur und die Kantonsarchäologie im Historischen Museum ausrichteten.

St.Galler Tagblatt, Dienstag, 30. März 2010

Skelett verändert Geschichtsbild

Der Sarkophag und sein Skelett verändern das Bild der frühen St. Galler Geschichte. Dies ist die Botschaft, die gestern das Amt für Kultur und die Kantonsarchäologie im Historischen Museum ausrichteten.

von Josef Osterwalder

Bisher habe sich die frühe Stadtgeschichte vor allem auf schriftliche Quellen gestützt, nun werde sie durch einen spektakulären Skelettfund erhärtet und ergänzt. So leitete Kathrin Meier, Leiterin des Amtes für Kultur, die gestrige Pressekonferenz ein. Erwin Rigert, der Projektleiter der Ausgrabungen in der südlichen Altstadt, wies auf die abenteuerliche Art hin, wie der Sarkophag unter einer elektrischen Leitung im Klosterplatz gefunden, freigelegt und im Oktober gehoben wurde. Doch der bisher spannendste Moment war weder die Hebung noch die Öffnung des Sarkophags, sondern der Tag, da Kantonsarchäologe Martin Schindler kurz vor Weihnachten das Ergebnis der Altersbestimmung in den Händen hatte, durchgeführt an der ETH Zürich nach der 14C-Methode. Es war sensationell. Das Gutachten besagte, dass das Skelett zu einem Mann gehört, der zwischen den Jahren 650 und 700 gestorben, beim Tod siebzig Jahre alt und somit ein Zeitgenosse des Gallus war.

Fast eine Weihnachtsbotschaft

Eigentlich hätte man das Ergebnis schon damals verbreiten können, als archäologisches Weihnachtsgeschenk. Doch der Befund war so unerwartet, dass man auf sichergehen und eine Nachprüfung anordnen wollte, diesmal mit einem andern Oberschenkel. Doch das kürzlich eingetroffene Gutachten bestätigt das erste: zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts. Damit werden alle bisherigen Erwartungen übertroffen. Von Aussehen und Beschaffenheit des Sarges her, datierte ihn Steinmetz Christoph Holenstein zwar bereits ins erste Jahrtausend. Doch eine genauere Bestimmung war nicht möglich, da Anhaltspunkte wie Grabbeigaben oder textile Reste fehlten.

Älter als das Hartmutgrab

Naheliegendste und bisher kühnste Annahme war, dass es sich um das Grab von Abt Hartmut (Amtszeit von 872 – 883) handeln könnte. In der Klostergeschichte Ekkehard IV. wird nämlich die Lage seines Grabes genau beschrieben, zwischen der alten Peterskirche und der Galluskapelle, dort also, wo der Sarkophag gefunden wurde. Schon die Entdeckung des Hartmutgrabes wäre eine Sensation gewesen.

Technisches Know-how

Doch nach dem neusten Ergebnis ist der Sarkophag noch um zwei Jahrhunderte älter. Er reicht in die Zeit des Gallus zurück, von der man zwar schriftliche, aber reichlich legendäre Quellen hat. Der massive Sarkophag beweist nun, dass die Gallusvita einen geschichtlichen Kern hat, einen solideren, als man bisher annehmen konnte. Der aufwendig und kunstvoll gefertigte Steinsarg lässt darauf schliessen, dass es bereits um die erste Galluszelle Leute mit erstaunlichen Fertigkeiten gab. Anders ist es nicht erklärbar, dass der 2,6 Tonnen schwere Sarg in einem Steinbruch in St. Georgen gehauen und bis zum Klosterhof transportiert werden konnte. Was das nun alles für die St. Galler Geschichte heisst? «Jetzt sind die Historiker am Ball», sagt Kantonsarchäologe Martin Schindler. Die Zeit zwischen dem Tod des Eremiten Gallus und dem ersten Abt, Otmar, war bisher weitgehend ein schwarzes Loch. Jetzt fällt Licht hinein.

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