Bis die Datierung der Gebeine vorliegt, lässt sich nur spekulieren, wer im Sarkophag begraben lag. Aus der Klostergeschichte weiss man immerhin, dass die Fundstelle eine beliebte Begräbnisstätte vor allem für herausragende Persönlichkeiten war.

St.Galler Tagblatt, Donnerstag, 26. November 2009

Wenn es Abt Hartmut wäre…

Bis die Datierung der Gebeine vorliegt, lässt sich nur spekulieren, wer im Sarkophag begraben lag. Aus der Klostergeschichte weiss man immerhin, dass die Fundstelle eine beliebte Begräbnisstätte vor allem für herausragende Persönlichkeiten war.

von Josef Osterwalder

Ein gewöhnlicher Mönch oder Landmann kann es nicht gewesen sein, der in diesem Sarkophag bestattet wurde. Der Archäologe Erwin Rigert nennt allein schon die Herstellung und den Transport des Sarkophags eine «technische Höchstleistung». Der Steinmetz Christoph Holenstein stellte zudem fest, dass der Sargtrog sehr sorgfältig bearbeitet war. Man schliesst daraus, dass der Sarg während der Bestattungszeremonie noch geöffnet war. Auffallend auch die kissenartige Aussparung, die für den Kopf des Toten im Boden des Sarkophags eingelassen wurde. Der Leichnam wurde also richtiggehend in den Sarg eingebettet. Eine weitere Besonderheit bildet die Öffnung, die sich im Boden des Sarkophags befindet. Sie diente offensichtlich dazu, alles Wasser, das sich bei der Verwesung bildet, in den Boden abzuleiten. Dabei floss aber auch das Wasser weg, das von aussen in den Sarg eingedrungen war. Wäre es geblieben, hätte es die organischen Materialien konservieren können.

Bevorzugter Begräbnisplatz

Der Sarkophag weist darauf hin, dass es sich beim hier Bestatteten um eine besondere Persönlichkeit gehandelt haben muss, entweder einen bedeutenden Abt, einen hervorragenden Mönch, einen Gönner des Klosters oder einen wohlhabenden Stadtbürger. Die Grabstätte lag an einem bevorzugten Platz, zwischen der Galluskapelle und der Peterskirche, deren südliche Mauer gut vier Meter vom Bischofsflügel entfernt im Klosterplatz angetroffen wurde. Von diesem Begräbnisplatz berichtet auch Ekkehard IV. in seiner Klostergeschichte, dem «Casus Sancti Galli». Hier wurde um 880 Bischof Landaloh, der Erzbischof von Treviso, bestattet. Er war ein gebürtiger Schwabe, ein grosser Gönner und regelmässiger Besucher des Gallusklosters. Als er, geschwächt von einem in Italien aufgefangenen Fieber, in Rorschach zusammenbrach, da wünschte er, in der St. Galler Peterskirche bestattet zu werden. Sein Freund aber, Abt Hartmut, wollte ihm im Tod nahe sein. Er verfügte, dass er einmal neben Landaloh bestattet werde. Zwar nicht innerhalb der Peterskirche selbst, sondern gleich anschliessend, im freien Feld. Genau dies aber ist die Stelle, an der man den Sarkophag im Boden angetroffen hat. Entsprechend gespannt wartet man nun, ob es bei den anstehenden Untersuchungen Hinweise auf das Hartmut-Grab gibt. Dazu braucht es vorerst die genaue Datierung. Möglicherweise aber trifft man auch in der Sedimentschicht, die sich im Boden des Sarkophags gebildet hatte, noch auf versteckte Hinweise.

Ein grosser Abt

Liesse sich der Sarkophag als das Grab Hartmuts identifizieren, wäre die Sensation allerdings perfekt. Und zwar aus einem doppelten Grund. Erstens würde sich zeigen, dass die Klostergeschichten Ekkehards kein phantasievolles Fabulierbuch, sondern eine ernst zu nehmende Geschichtsquelle sind. Zweitens hätte man mit dem Sarkophag eine Gedenkstätte an einen Abt, der für die Entfaltung des Gallusklosters entscheidend wichtig war. Bei ihm erreichte das Goldene Zeitalter seinen Höhepunkt. Zurzeit befindet sich der Sarkophag im Historischen Museum St. Gallen, am kommenden Wochenende geben Archäologen Auskunft.

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