Die Bergung eines vollständig erhaltenen Sarkophags ist der bisherige Höhepunkt der Grabungen, die zurzeit in der südlichen Altstadt St.Gallens getätigt werden.

St.Galler Tagblatt - Thema - Samstag, 10. Oktober 2009

Mittelalterlicher Sarkophag unter Stromleitungen versteckt

Die Bergung eines vollständig erhaltenen Sarkophags ist der bisherige Höhepunkt der Grabungen, die zurzeit in der südlichen Altstadt St.Gallens getätigt werden. Auch wenn die wissenschaftliche Auswertung erst noch folgen muss, bereits heute steht fest, dass es sich um einen äusserst bedeutsamen Fund handelt.

von Josef Osterwalder

Beim gestern gehobenen Sarkophag handelt es sich um einen spektakulären Fund. Vor allem auch, weil er über alle Jahrhunderte hinweg ganz geblieben ist. Er liegt nämlich an einer Stelle, an der immer wieder gegraben und Leitungen verlegt wurden, erst für Wasser, dann für Elektrizität. Zum Glück war man dabei nie ganz bis zum Niveau des Sarkophags vorgedrungen. Als in den 1970er-Jahren Stromleitungen verlegt wurden, stoppte der Aushub wenige Zentimeter über dem Steinsarg. Immerhin traf man damals auf die Grabplatte, die über dem Sarkophag lag. Es ist anzunehmen, dass man ihr keine Beachtung schenkte, sondern sie zerstörte. Ihre Bruchstücke wurden nämlich in der nun ausgehobenen Grube gefunden. Aus solchen Beobachtungen macht sich Grabungsleiter Erwin Rigert ein Bild, wie jüngere Eingriffe die Situation im Boden verändert hatten.

Erste Spuren

Auf den gestern gehobenen Sarkophag wurde die Kantonsarchäologie erstmals vor sechs Jahren aufmerksam, beim Verlegen einer Wasserleitung. Damals entdeckte man allerdings erst eine kleine Ecke des Sarkophags, ohne dass man diesen als solchen erkennen konnte. Bei der Erneuerung der Stromleitungen im laufenden Jahr wurde der Sarkophag erneut tangiert und nun auch erkannt. Aufgrund der grossen Bedeutung und der hohen Gefährdung durch künftige Arbeiten am Leitungsnetz entschied sich die Kantonsarchäologie für eine Rettungsgrabung. Die Fundstelle erwies sich als ausserordentlich reich. Zunächst traf man auf diverse Frischwasserleitungen aus dem 19. Jahrhundert. Etwas tiefer traf man auf eine ältere Teuchelleitung und eine Einrichtung zum Verteilen des Wassers. Noch etwa zwanzig Zentimeter tiefer liegen die Bollensteine der Hof-Pflästerung.

Klosterhof als Friedhof

Beim Vordringen in die Grube entdeckte Rigert eine ausgeräumte Mauer. Sie stammt mit ziemlicher Sicherheit von der mittelalterlichen, 1666 abgerissenen Petruskirche, die samt der benachbarten Galluskapelle dem Bau des Hof-Flügels mit der Abt-Wohnung weichen musste. Nahe der Mauer fand man dicht neben- und übereinander liegende Grabstätten mit 14 Skeletten; mindestens eines davon ist weiblich. In gut zwei Metern Tiefe konnte dann endlich der Sarkophag freigelegt werden. Für dessen Bergung wurden Fachleute wie der Steinmetz Christoph Holenstein zugezogen. Nach seiner Auskunft besteht der Sandstein des Sarkophags aus Meeresmolasse, wie man sie in den Steinbrüchen von Rorschach und St. Georgen antrifft. Das Gewicht wird auf zweieinhalb Tonnen geschätzt.

Wenig Vergleichsstücke

Die äusserliche Gestalt des Sarkophags lässt weder Rückschlüsse auf die Datierung noch auf den Inhalt zu. Auch darum nicht, weil solche Sarkophage in ihrer Form langlebig und nur wenige intakte Vergleichsstücke bekannt sind. Es scheint, dass es sich bei der Grube um den ursprünglichen Bestattungsplatz des Sarges handelt. Zurzeit wirkt die südliche Altstadt wie ein grosser Archäologiepark. Mit der Neugestaltung der Strassen und Plätze wird auch die Infrastruktur im Boden erneuert. Die dabei ausgehobenen Gräben durchschneiden dabei an vielen Orten mittelalterliche Kulturschichten.

Ein Mittelalterpuzzle

Die verschiedenen Skelett- und Objektfunde sind wie Puzzleteilchen, aus denen sich langsam ein Bild der frühen Kloster- und Siedlungsbauten zusammensetzen lässt. Dass der Klosterplatz reiche archäologische Geheimnisse birgt, wurde in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher erkannt. 1953 fand man bei der Anlage des Ratskellers einzelne Gräber, 1998 beim Pfalzkeller einen ganzen Friedhof. Und Aufnahmen mit Bodenradar (2002/2004) verraten, wie viel noch zu entdecken wäre.

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